"Wir haben keine Bundesregierung"

Veröffentlicht am 26.02.2010 in Bundespolitik

Eine verantwortungslose Verweigerungshaltung hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel der Koalition vorgeworfen. Angela Merkel sei nicht Chefin der Bundesregierung, sondern die "Vorsitzende einer Nichtregierungsorganisation". Deutschland drohe, in erhebliche Schwierigkeit zu geraten.

Am Freitagvormittag hatte der Bundestag das neue Afghanistan-Mandat der Bundeswehr beschlossen. Bei nur 16 Gegenstimmen stimmte auch die SPD-Fraktion zu. Die Partei hatte in den Wochen zuvor frei und offen eine neue Strategie für den Einsatz diskutiert und ein Konzept erarbeitet, das jetzt Grundlage des Regierungshandelns ist. Das Thema ist nicht populär, wie Umfragen zeigen. Dennoch musste Politik handeln. Und so zeigt sich auch an der Stelle aktuell der Kontrast zwischen dem sozialdemokratischen Politikverständnis und dem allgemein als kopflos beschriebenen Agieren der schwarz-gelben Koalition.

"Die SPD handelt verantwortungsvoll – auch in der Opposition", betonte am Freitag der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel vor Pressevertretern in Berlin. Dasselbe erwartete er im Interesse des Landes auch von der Bundesregierung. Schließlich verlangten zahlreiche Herausforderungen zügige und klare Entscheidungen: Die Arbeitslosigkeit, die Frage um die Zukunft der Kurzarbeit, Finanz- und Wirtschaftspolitik nach der Krise, die katastrophale finanzielle Situation in den öffentlichen Haushalten – "die Städte und Gemeinden saufen uns ab" – und Bildung, nannte Gabriel beispielhaft. "Wir erleben, dass sich die Banken Börsen erneut in Richtung einer Blase bewegen."

Merkels NGO

"Es gibt Baustellen zuhauf, gerade durch die Krise und wir haben keine Bundesregierung", kritisierte der SPD-Vorsitzende. "Wir haben eine Kanzlerin, die Vorsitzende einer Nichtregierungsorganisation ist. Wir haben eine neue NGO in Deutschland. (...) Und diese NGO sorgt dafür, dass wir in Deutschland langsam aber sicher in große Schwierigkeiten kommen."

Mindestlohn muss schnell kommen

Wenn nicht schnell gehandelt werde, drohe beispielsweise ab Anfang kommenden Jahres der Verlust von Tausender Arbeitsplätze wegen der dann umgesetzten weitgehenden Freizügigkeit der neuen EU-Beitrittsstaaten Osteuropas. Vor "dramatischen Dumpinglöhnen" warnte Gabriel in diesem Zusammenhang insbesondere im Dienstleistungsbereich, im Handel und im Handwerk. "Wir brauchen dringend den Mindestlohn", forderte daher der SPD-Vorsitzende.

"Westerwelle ist Vorsitzender einer fundamentalistischen Partei"

Klare Worte fand Gabriel auch für die „ereignislose Debatte“ des Vizekanzlers, der mit dem fehlenden Lohabstandsgebot zwar einen Missstand beschreibe. Eine Lösung biete Westerwelle aber nicht an. Dies sei aber Aufgabe der Regierung. "Stattdessen setzt Westerwelle lärmend auf Vorurteile" und spiele verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus. Der FDP-Chef suche "Sündenböcke, um von seinem eigenen Versagen in der Wirtschafts- und Steuerpolitik abzulenken".

Nachdem die FDP in den 70er Jahren eine stolze Partei gewesen sei, die für Bildungsinvestitionen und für kleine und mittlere Unternehmen gekämpft hätten, habe Westerwelle die FDP längst gewendet – wieder hin zur "Möllemann-Partei", in der möglicherweise künftig auch über "integrationsunwillige Ausländer" gehetzt werde. "Guido Westerwelle ist Vorsitzender einer fundamentalistischen Partei: er hat sie jung, radikal und gnadenlos gemacht", so Gabriel.

"Merkel muss beginnen zu regieren"

Als das eigentliche Problem bezeichnete der SPD-Vorsitzende die Tatenlosigkeit der Kanzlerin. "Das schlimme ist, dass Angela Merkel das duldet." Der SPD-Vorsitzende forderte sie daher auf, sieben zentrale Fragen unverzüglich zu klären:

1. Die Koalition müsse klar machen, dass sie die Verfassung respektiert und nicht das Existenzminimum durch die Grundsicherung antaste.
2. Sie "muss dafür sorgen, dass sich Leistung wirklich lohnt": durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und durch das Gebot "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" im Leiharbeitsbereich.
3. "Sie muss die unsinnigen Steuerpläne von FDP und CSU stoppen" und den Raubzug durch die kommunalen Kassen beenden.
4. Sie "muss die unbezahlbare Kopfpauschale stoppen", die 40 Millionen Menschen in Deutschland zu Bittstellern beim Staat machen würde.
5. Sie müsse Steuersenkungen denen gewähren, die Arbeit schaffen. Nämlich den kleinen und mittleren Unternehmen, die auch in der Krise investierten.
6. Sie müsse dafür sorgen, dass die Städte und Gemeinden finanziell so ausgestattet werden, dass sie ihre Aufgaben auch erfüllen könnten und
7. Sie müsse den Ländern ein konkretes Angebot machen, wie bessere Bildung und mehr Kinderbetreuung finanziert werden kann.

"Das bedeutet, Angela Merkel muss beginnen zu regieren." Wenn sie das mit der jetzigen Koalition nicht könne, "muss sie das dem Deutschen Bundestag mitteilen und Konsequenzen ziehen", stellte der SPD-Vorsitzende fest.

Folgen Sie uns auch in den sozialen Netzwerken

Facebook

Facebook (Fraktion)

Instagram